Bác Hổ – Der gefangene Geist des Hổ Chí Minh in Hanoi

Reisereportage Vietnam: Onkel Ho

Bác Hổ – Der gefangene Geist des Hổ Chí Minh in Hanoi

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Hổ-Chí-Minh-Mausoleum in Hanoi

Im gläsernen Sarg, eingetaucht in rotes Licht, wird der Leichnam des größten Freiheitshelden Vietnams in einem klotzigen Mausoleum aufbewahrt. Es ist ein gespenstischer Kult, der um ihn getrieben wird. Und ein Verrat an seinem letzten Willen. Denn Ho Chi Minh wollte weder ein Staatsbegräbnis noch ein Staatsmausoleum.

»Không có gì quý hơn độc lập, tự do.« Hổ Chí Minh (1890 – 1969)[1]

Vier Tage in der Woche, von Dienstag bis Freitag, können ihn die Besucher betrachten. Lediglich in den Monaten Oktober und November müssen sie verzichten. Da wird er generalüberholt. Schließlich soll er nicht zusammenfallen, keine Spuren der Verwesung zeigen wie sein Kollege Lenin im fernen Moskau.

So stehe ich an diesem Freitag pünktlich um acht Uhr am Eingang zum Mausoleum am Hanoier Ba-Dinh-Platz. Er wird im Wesentlichen für Aufmärsche genutzt. Polizisten riegeln ihn ab. Zufahrtsstraßen sind mit Einbahnstraßenschildern bestückt. Verkehrspolizisten weisen die ankommenden Reisebusse ein. Touristen kommen immer, aus Japan, Deutschland, Frankreich und sogar aus dem einstigen Feindesland Amerika. Es gehört einfach zum Besucherprogramm für Hanoi, sagen die einen – so eine Prozedur muss man erlebt haben, die anderen. Dieser Prunk, dieser Protz ist nötig, um auf Vietnams Regierung aufmerksam zu machen, höre ich aus der Schlange, welche sich langsam formiert.

Tradition des Ahnenkultes

Noch haben die Ordnungsfrauen mit ihren stahlharten Mienen nicht viel zu tun. Die erste Gruppe von etwa dreißig Personen darf eintreten. Eine Ordnungsdame stellt sich hinter die letzte zugelassene Person. Wir rücken vor. Eine Glastür wird aufgesperrt. Vor uns ein Röntgengerät, wie es auf Flughäfen zu Personen- und Taschenkontrollen eingesetzt wird. »Fotokamera«, die knappe Aufforderung. »Open« und die junge Frau weist fordernd auf meine Jacken, keine Geste der Freundlichkeit, kein Lächeln. Wovor haben sie Angst? Vor einem Anschlag, vor einem Bild, das ich nehmen könnte, von ihrem geliebten Hổ? Könnte ich ihm womöglich seine Seele rauben?

Ahnenkult hat eine lange Tradition in Vietnam, in jedem Tempel, in jeder Pagode kann man ihn finden. Siebzehn Jahre gab es nur einen Ahnen, einen öffentlichen Ahnen, während die anderen heimlich zu Hause in den kleinen Tempelchen im Wohnzimmer verehrt wurden. Der öffentliche Tempel war für den großen Ahnen H̀ổ Chí Minh errichtet worden. Ein Klotz, der viermal größer sein soll als das Leninmausoleum in Moskau. Aber er wurde nach dessen Vorbild gebaut. Auch die Struktur des Kultes seiner Partei ähnelte der in Moskau. Es ist der Kult einer Partei, die es verlernt hatte, einen Mann zu ehren, der sich für sein Volk aufgeopfert hatte. Heute wird darauf geachtet, dass er nicht fotografiert wird. Aber wer soll wem die Seele rauben? Mit einem Bild von einem Toten, dem man seinen Letzten Willen verwehrt, den man nicht bestattet.

Mit Trillerpfeifen befehlen die Beamten der Volkspolizei dem Besucher: Gehen Sie in Zweierreihen. Und ehe der letzte Tourist begriffen hat, seine Kopfbedeckung endlich abzunehmen, haben sie uns sortiert. Wir nähern uns fast im Gleichschritt, in Zweierreihe rücken wir vor. Hinter uns, zwanzig Meter entfernt, versucht die zweite Gruppe, ebenfalls an die dreißig Leute, aufzuschließen. Keine Chance. Eine Trillerpfeife ertönt. Kein Wort, kein Satz, lediglich dieser schrille Ton der Pfeife schafft Ordnung. »Linksschwenk Marsch!« Wir betreten den roten Teppich, der geradewegs zum Vordereingang des Mausoleums führt.

Freiheit nach dem Tod?

Ein paar Stufen hinauf, vier Soldaten der vietnamesischen Volksarmee weisen den Weg. »Linksschwenk Marsch!« Vor uns an der Wand ein Zitat, wohl das wichtigste von H̀ổ Chí Minh: »Nichts ist wertvoller als Unabhängigkeit und Freiheit« Seit mehr als fünfundvierzig Jahren ist Bác Hổ, Onkel Hổ, wie ihn die Vietnamesen liebevoll nennen, nun schon tot. Doch die Partei kann nicht von ihm lassen. Besonders in einer Zeit, wo die Korruption stärker wächst als in den ersten fünfzehn Jahren der jungen Republik. Selbst in den Reihen der eigenen Regierung nimmt die Verschwendungssucht immer mehr zu. Da hilft der Geist dieses einzigartigen Mannes mit seinen revolutionären Ideen, seiner harten Arbeit, seinem spartanischen Leben im Dienst des vietnamesischen Volkes leider nicht.

Heute heißt es: Viele sollen anpacken, wenige dürfen profitieren. Da ist man sich nicht zu schade, ein Bild Hổs auszugraben, auf dem er gerade einen mittelständischen Betrieb betritt. H̀ổ Chí Minh wollte schon immer Privatwirtschaft, erklärt man. Beruht doch seine »Declaration of Independence« auf der Freiheitserklärung der Französischen Revolution und der Unabhängigkeitserklärung Amerikas, nicht auf Marx oder Lenin, deren Thesen heute in den Schulen gelehrt werden. Werden sie auch verstanden? Oder werden die Menschen ebenso betrogen und verraten wie Hổ Chí Minh? »Rechtsschwenk, Marsch!« die Treppe hinauf. Eiserne Blicke der Soldaten. Die Luft wird spürbar kühler. Nur nicht stehen bleiben, Treppe, Stufen, immer hinauf.

Aufgebahrt im rotfarbenen Spotlight

Zwischen 1973 bis 1975, unterbrochen durch etliche Baustopps wegen der Bombardierung Hanois, wurde der Mausoleums-Klotz errichtet. Der riesige Platz davor mildert seine Strukturen optisch etwas ab. Dieser Aufbewahrungspalast ist ein Bauwerk, das Hổ Chí Minh niemals wollte, ebenso wenig wie ein Staatsbegräbnis. Eine einfache Einäscherung hat er sich gewünscht, keinen Pomp, keine Verschwendung. Ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen, wäre eine viel größere Ehrung für diesen Mann gewesen als diese Zurschaustellung. Das Geld für den Bau dieses Mausoleums wäre besser in die Wirtschaft, die Bildung und das Gesundheitswesen investiert worden.

»Rechtsschwenk Marsch!« – und den Blick nach links gewendet. Da liegt er, aufgebahrt im rotfarbenen Spotlight, Onkel Hổ im gläsernen Sarg. Und ebenso leblos, nur mit offenen Augen stehen vier Soldaten an den Ecken des Sarges. Nur nicht stehen bleiben, marsch, marsch. Keine Sekunde verweilen im Gedenken an diesen Ahnen. Hier ist strengstens verboten, was in Tempeln und Pagoden wieder öffentlich erlaubt ist. Verweilen, nein. Onkel Hổ ist noch nicht angekommen, dort, wo er glaubte, dass er alle die großen Geister, wie Marx und Lenin, treffen könnte.

Zwanzig Sekunden hatten wir Zeit. Die brütende Sonne erwärmt unsere Gesichter nach der Kühle im Mausoleum. Schnell löst sich die Gruppe auf, dreißig Leute, die eben noch in Zweierreihe vereint, hintereinander schritten. Wir haben ihn gesehen – ihn, den großen Hổ. Liegt hier der letzte Kommunist des Landes Vietnam begraben?

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Hanoi – Ho Chi Minh Mausoleum


[1] »Nichts ist wertvoller als Unabhängigkeit und Freiheit«

 


Reisen, Reiseinformationen nach Vietnam:

 


Vietnam – Reportagen aus dem Land der Drachen und Feen

Vietnam - Reportagen aus dem Land der Drachen und Feen

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Oktober 2017 – ISBN: 978-3-7448-1106-4 – 136 Seiten – 27 s/w Fotos – 7,99 Euro

Vietnam, das kleine China im Süden, das ist eine mehr als tausendjährige Geschichte des Kampfes um seine Freiheit. Vietnam ist eine Entdeckungsreise, extrem lang gezogen und gebirgig von den Landesgrenzen Kambodschas und Laos bis zum Südchinesischen Meer. Dazwischen liegt ein ehrgeiziges Land. Ein Volk der Drachen und Feen, wie sich die Vietnamesen gern sehen. Ein Volk mit scheinbar unerschöpflichem Fleiß ausgestattet, aufbegehrend gegen ihre Besatzer, zugleich anschmiegend an ihre Invasoren.

Der Autor nimmt den Leser mit in das Wechselspiel zwischen Ahnenkult, Sozialismus und Globalisierung. Er taucht ein in das harte Leben der Reisbauern, deren Jugend nach westlichen Werten strebt, genießt die herzliche Gemeinschaft des Dorflebens und unternimmt eine Zugreise von Hanoi nach Saigon im Wiedervereinigungs-Express. Er besucht eine der schillerndsten und ungewöhnlichsten Religionsgemeinschaften der Welt, die Cao Ðài, spricht mit Studenten und Professoren, Reisbauern und einer caodaistischen Seherin.

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